24. Januar 2023
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Arbeiten auf Augenhöhe: Geht das überhaupt?

In der New Work sprechen wir mehr und mehr davon, dass wir einander auf Augenhöhe begegnen wollen, dass Führungskräfte sozusagen als primus inter pares agieren. Wir Entwicklerinnen (Eva Maria Danzer und Barbara Wietasch) von Shared LeaderShift www.sharedleadershift.com gehen davon aus, dass die Führungsrollen sogar geteilt werden, also EINE FührungsKRAFT entsteht und sich die Rollen: Customer & Value, Team & Performance und People & Culture Lead soweit abstimmen, alignen, dass sie wie aus einem Guss auftreten. Mehr Information dazu gerne auf unserer o.g. Website.

Doch wie viel Augenhöhe ist tatsächlich möglich? Ein Blick in die Kultur-Forschung!
Die Erwartung daran, wie dominant und distanziert in Gruppen geführt werden soll, differiert von Mensch zu Mensch, von Kultur zu Kultur. Sie wird von individuellen Einstellungen und soziokulturellen Faktoren beeinflusst. Hierfür hat der holländische Sozialpsychologe und Organisationsforscher Geert Hofstede bereits in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wichtige Anhaltspunkte geliefert. Er untersuchte, welchen Anteil nationale Kultur, soziales Milieu und Bildung daran hat, dass Menschen eine ungleiche Verteilung von Macht akzeptieren. Das Maß hierfür nennt Hofstede „Machtdistanz“ (power distance) – und diese Machtdistanz ist in den deutschsprachigen und skandinavischen Ländern besonders gering ausgeprägt. In einigen asiatischen, lateinamerikanischen und osteuropäischen Ländern ist sie besonders hoch. Liegt eine hohe Erwartung an „Machtdistanz“ vor, dann akzeptieren Menschen eher Hierarchien, tolerieren große Gehaltsunterschiede, setzen Privilegien und Statussymbole bei Führungskräften geradezu voraus und fordern einen auf Anweisung und Kontrolle basierenden Führungsstil ein. (siehe auch mein Buch: „Global Management: Ein Tanz mit den Eisbergen“). Augenhöhe: Hier Fehlanzeige!

Doch seit den 70ziger Jahren hat sich einiges verändert. Die Babyboomer schleichen sie aus der Arbeitswelt, die nachfolgenden Generationen haben häufig die antiautoritäre Erziehung genossen, es herrscht ein Fachkräftemangel, Teamarbeit gepaart mit Selbstorganisation ist das New Normal. Also Augenhöhe: Ja unbedingt!

Augenhöhe entsteht von innen – also aus uns heraus
Denn in erster Linie entsteht Augenhöhe aus uns heraus, d.h. von innen nach außen. Denn nur ich als Betrachter bin in der Lage, mir einen anderen Menschen als grösser oder kleiner vorzustellen. Tue ich das, bin ich automatisch mit Emotionen oder Gedanken meiner eigenen Unter- oder Überlegenheit konfrontiert. Und damit ist dann auch das Auf- oder Abwerten meiner eigenen Person sowie der Beurteilung des „Wertes“ meines Gegenübers verbunden, was durch unterschiedliche Aspekte ausgelöst werden kann: Alter, Geschlecht, kultureller und sozialer Hintergrund, Bildungsstand, Rollenbilder, Position in der Unternehmenshierarchie oder die Nähe zum Markt, sozialer Status, um nur einige zu nennen. Hier bedarf es einer bewussten Entwicklung, eines Wachsens der eigenen Persönlichkeit!

Also arbeiten auf Augenhöhe und alles ist gut?
Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn dort wo Menschen zusammentreffen und sich zu einer Organisation formieren, gibt es neben der menschlichen Seite auch immer die des Systems, d.h. Strukturen, Prozesse, Abläufe, Organisation, Entscheidungswege, Organigramme. Das alles sind Wegweiser, wie sich die Menschen in den Systemen begegnen dürfen.

Und wie sieht dies in einem Agilen Setting aus?
In einem Scrum-Team, in denen die Rollen schon mal rollieren oder wie bei Shared LeaderShift (s.o.), wo 3 oder 4 Rollen (Köpfe/Schultern) gemeinsam die Verantwortung übernehmen sollen, ist Augenhöhe wichtig. Mit gleicher Wertigkeit? Fokussiert auf einen gemeinsamen Purpose?
Ja, wir hören es immer wieder! Wir sitzen doch alle im selben Boot, haben das selbe Unternehmensziel. Jeder trägt mit seinen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu dem Ergebnis bei. Dann versteht sich die Augenhöhe doch von selbst, oder? Und trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass das mit der Augenhöhe eine Illusion ist und wir und gerade erst auf den Weg gemacht haben.
Kundennähe: ein Machtsymbol?

Ein agiles Setting in einer Linienorganisation. In dem agilen Organisationskontext reden wir über Rollen wie Product Owner, Development Team, Scrum Master, People Lead, Squads. Die Verträge der Beteiligten könnten unterschiedlicher nicht sein, von Festangestellten, zu Mitarbeitenden aus einer Tochterorganisation, Leasing Personal oder Werksverträgen, über Teilzeit zu Vollzeit, in unterschiedlichen Ländern., von Holland bis zur Ukraine und natürlich der komplette Alters-Mix.
Fast alle haben sich in klassischen, hierarchischen Organisationen sozialisiert. Am Ende gibt es jemanden, der trotz aller Einbindung der Teams, die Entscheidung trifft, da auch die Verantwortung bei dieser Person liegt. Und gerade aufgrund dieser Vielfalt ergeben sich Verhalten, in denen klar der Hochstatus des Product Owners herausgekehrt wird: wer holt hier den Auftrag und das Budget und schafft die Arbeitsplätze? Augenhöhe: weit gefehlt, denn auch der People Lead hält sich in den Konflikten zurück. „Ober sticht unter“ in einer agilen Organisation, schade doch Realität. Und wahrscheinlich häufiger als es gut ist!

Wir haben ja auch gelernt: Der Kunde ist König und wer diesem näher ist, hat in der Organisation auch ein stärkeres Gewicht. Schon immer haben wir auf den Vertrieb als den Motor, als das Herzstück einer Organisation geschaut. Die Vergütungssysteme sind nach wie vor so ausgerichtet, dass hier die Boni wesentliche Einkommensbestandteile sind. So überträgt sich das in unserem Kundenbeispiel auch auf die PO Rolle.

Spielen Persönlichkeitstypologien bei der Augenhöhe eine Rolle?
Wer hat sich für welche Aufgabe bzw. Positionen entschieden, Können wir hier eine Erklärung in den Persönlichkeitstypologien finden? Und ergibt es daraus ein Hoch- und Tiefstatus?

Bleiben wir beim Vertrieb: da sehen wir die Macher, die Dominanten, die Kreativen in der Verhandlungsführung, das sind die Extrovertierten, die gerne die Bühne betreten und viel schneller und überhaupt gehört werden. Und die Qualitäts- und Finanzmanager? Das sind doch eher die gewissenhaften, detailorientieren, vielleicht auch Introvertierten? Und im Personalmanagement? Die Zuschreibung geht in Richtung Menschenorientierung und auch hier finden wir eher die leiseren, die Introvertierten. Und doch brauchen wir alle, damit das Boot gut voran kommt, wir die richtigen Leute an Bord haben, keine Löcher im Bootsrumpf sind… und natürlich einen, der den Takt vorgibt.

Ich weiß, das ist ein Schubladendenken und auch eine Gleichmacherei wird nicht funktionieren. Denn auch in der agilen Welt finden wir Leistungsträger, die Karriere machen möchten, die sich zeigen und vor allem, was sie drauf haben, die gerne auch mal in den Wettbewerb gehen und gewinnen wollen!

Das New Work Mindset hört sich manchmal so an, als wären wir jetzt alle gleich, als hätten wir gleiche Werte, gleiche Verhalten, gleiche Fähigkeiten, d.h. ein gleiches Tool-, Skill- und Mindset. Zumindest ist das für viele das Ziel: Teamgeist, Loyalität, Flexibilität, gegenseitige Unterstützung, Menschlichkeit, Aufrichtigkeit, Transparenz. Ist das nicht schon gelebte Augenhöhe? Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, es gibt keine Prinzen keine Prinzessinnen, und das Management-Team ist wie aus einem Guss. Kein Hoch- kein Tiefstatus.

Wir haben in den vergangenen Monaten intensiv darüber diskutiert. Wie können Führungsteams das erreichen? Schaffen sie das z.B. als selbstorganisiertes Team alleine? Wir glauben, dass das sehr schwierig ist, da es immer wieder eine Reflexion braucht, einen Spiegel von außen, eine Rolle, die das Verhalten beobachten und besprechbar machen darf und kann.

Wie man „Augenhöhe“ kalibriert: ein erster Ansatz!
Deshalb empfehle ich denen, die auf Augenhöhe führen und so Kreativität und Austausch fördern wollen: lotet erst einmal die Erwartungen ab. Praktisch betrachtet heißt das für mich:
– Welche Erkenntnisse zu Kultur, Milieu und Bildungshintergrund kann ich einbeziehen, wenn ich als Führungskraft den Grad an „Augenhöhe“ zwischen mir und den von mir „geführten“ Menschen bestimmen wollen.
– Im Team zu thematisieren, wie Führen und Folgen gelebt werden sollen – zumindest dort, wo man einen reflektierten Umgang mit Machtdistanz voraussetzen kann.
– Hinterfragen, wie viel „Augenhöhe“ die gemeinsam zu bewältigende Aufgabe überhaupt erfordert: Ist sie komplex genug, dass sie von Wissensaustausch und Kreativität bei der Lösungsfindung und Umsetzung überhaupt profitiert?
– Und auf jeden Fall sich selbst zu hinterfragen: Wie stehe ich zu Autoritäten? Wie geht es mir in unterschiedlichen Kulturen? Wann spüre ich Irritierung? Und wie komme ich wieder in meine Mitte?

Führen auf Augenhöhe funktioniert solange nicht, wie Menschen gerne zu anderen hinaufschauen. Der Umkehrschluss aber gilt auch. Führen ohne Augenhöhe schadet dann, wenn Menschen es nicht mögen, dass andere auf sie herabschauen. Und das gilt in der traditionellen Arbeitswelt ebenso wie in der New Work.

Was bedeutet für Sie Augenhöhe
Wir sind sicher, dass es nicht die eine richtige Vorstellung davon gibt. Daher sind wir daran interessiert, was Ihr Verständnis von Augenhöhe ist. Wir sind gespannt!

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