18. Mai 2021
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Ist Gendern nützlich, gefährlich oder die Ablenkung von echten Problemen?

Heute ist Diversity Tag in Deutschland und ich stelle mir die Frage: Ist Gendern nützlich, gefährlich, oder lenkt es von den echten Problemen ab?

HühnerInnen-Filet lese ich gestern im Vorbeigehen im Supermarkt und werde stutzig. Sind Hühner nicht sowieso weiblich. Warum dann nochmals ge-gendert? Ach nein, es ist ja in Blockbuchstaben. HÜHNERINNENFILET, ja klar. Wie konnte ich nur so kritisch und böse denken?

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Doch „Innen“ als neue Form des korrekten Genderns? Ist das dann wie „Userinnen und User“? Wird einfach alles eingedeutscht und ge-gendert, damit es politisch korrekt ist?

Zurück zum Binnen-I. Das sagt ja ganz klar, „liebe Frauen, ihr seid es wert und bekommt dieses „I““. Und damit geht es für das weibliche Geschlecht mehr und mehr nach Innen! Statt nach außen!

Geringere Sichtbarkeit – in diesen Krisenzeiten reduzieren Frauen und gerade Mütter häufiger als ihre männlichen Wegbegleiter die Arbeitszeiten von 80 % auf 50 %. Die Anzahl der Teilzeitverträge in den Unternehmen für Frauen steigt massiv an.

Dieser Weg nach Innen setzt sich oft fort über den Küchentisch, der neue Frauen-Arbeitsplatz für das mobile Arbeiten. Oder die Kommode im Schlafzimmer, schlechtes Licht, am besten immer ohne Kamera, damit der Hintergrund und die spielenden Kinder nicht sichtbar sind.

Die Väter und Ehemänner richten sich da schon eher im Hobby-Keller ein oder im Wohnzimmer, es kann die Tür zugemacht werden, ein schöner Bildschirmhintergrund und die Sichtbarkeit und Kontinuität der Arbeit einer Vollzeitbeschäftigung ist gesichert.

Ich höre auch, dass einige Sender lieber vom Personal oder dem Lehrkörper sprechen, damit die Diskussion der ungleichen Ansprache vermieden wird. Komischerweise kommt mit diesen Begrifflichkeiten bei mir kein Bild eines Menschen mit individuellen Bedürfnissen, Sorgen und Potentialen hoch. Also zu der Distanz mit dem Homeoffice noch eine weitere Distanz durch die Wortwahl.

Ach ja, und dann gibt es noch die Möglichkeit der Doppelung: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Leserinnen und Leser, die Lehrerinnen und Lehrer. Gähn, gähn! Unsere eh schon komplizierte Sprache, schauen wir uns das Wort „Humanmilchdatenbank“ an, bekommt jetzt noch einen weiteren slow down! Ellenlange Worte und jetzt noch diese Wiederholungen. Dadurch wir die Sprache und Kommunikation noch langsamer. Lesen und hören wird echt eine Über- und Unterforderung zugleich. Warum ich das glaube?

Die aktuelle Krise hat auch viele Lektoren an den Universitäten dazu bewogen, ihre Lehrveranstaltungen per Video aufzuzeichnen und zwar so, wie sie normalerweise in den Hörsälen vortragen würden. In der virtuellen Welt wird dann oft einfach vorgelesen und selbstverständlich ge-gendert, also entweder mit Doppelungen oder mit einer Pause mitten im Wort gefolgt von einem Binnen-I und …nnen. Und das ohne Gestik, ohne Mimik… einfach so wie immer.

Eine Stunde wird so eine sehr lange Stunde für den Zuhörer. Die Sender überprüfen nicht, ob dies evtl. auch lebendiger, kompakter ginge, so dass es dem Empfänger Spaß macht zuzuhören. Auf der einen Seite die User, die Studierenden, die dann häufig eine erhöhte Wiedergabegeschwindigkeit der Videos wählen, doppelt oder nur anderthalbmal so schnell. Die Micky-Mausstimme der Professoren wird dafür gerne in Kauf genommen, denn nur so kann ein junges Gehirn die Botschaften wirklich gut verarbeiten, ohne in die Unterforderung oder in den Sleep-Modus zu fallen.

Ein Binnen-I, eine Doppelung in der Geschlechteransprache hilft aus meiner Sicht der Gleichbehandlung und Gleichberechtigung überhaupt nicht. Es ist – wie gesagt für mich – ein unnötiger Nebenschauplatz. Wir müssen uns wirklich mehr darüber Gedanken machen, wie Frauen gleiche Chancen im Job bekommen, gleiche Bezahlung für gleiche Leistung erhalten und vor allem Wege finden, wie die Familienaufgaben geteilt werden können? Das Thema der Abschaffung der Witwenrente für Frauen, weil doch schon alle Frauen gleichgestellt sind, erscheint mir wie ein Hohn, da die Realität uns zeigt, dass wir vor einer drohenden „Altersarmut für Frauen“ stehen, im Hinblick auf die vielen weiblichen Teilzeitbeschäftigten.

Was ist aus der Frauenbewegung geworden? Manchmal glaube ich, dass wir eine komplette Rolle-Rückwärts gemacht haben und die drei Ks – Kinder, Küche, Karriere (ganz früher stand hier Kirche) jetzt nur noch Küche, Kinder und Teilzeitjob heißen. Wie kommen wir da wieder raus, wenn das Homeoffice zum New Normal wird. Was müssen wir tun – fernab vom Gendern – damit wir den heutigen Diversity Tag in Deutschland nicht nur als alternativen Kalendereintrag wahrnehmen?

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