Virtuelle Teams: Fluch oder Segen?
Was unsere Großeltern noch für Science Fiction hielten, ist heute ganz normal. Die Gute-Nachtgeschichte hören und sehen die Enkelkinder von ihren Großeltern über Skype. Dank moderner Informationstechnologie können wir in Sekundenschnelle Briefe und Bilder rund um den Globus schicken. Wir können dank Desktop-Sharing gemeinsam am selben Projekt arbeiten. Wir versammeln uns in virtuellen Meetingräumen und veranstalten Telefonkonferenzen. Wir treffen uns in unterschiedlichen Zeitzonen, Kulturräumen und mit unterschiedlichen Sprachen.
Leadership-Präsenz versus Team-Ergebnisse
Und trotzdem bringen die meisten virtuellen Teams nicht die Ergebnisse, die face-to-face Teams erzielen. Dies zeigt sich bei der Erhebung der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit eines deutschen Telekommunikationsunternehmens. Selbst wenn der Teamleiter nur 100 km entfernt und seltener an dem Standort eines seiner Teams war, fielen die Zahlen, Daten, Fakten des virtuellen Teams schlechter aus. Gleiche Aufgaben, gleiche Taktung der Prozesse und Abläufe, gleiche zeitliche Zugehörigkeit der Mitarbeiter zum Unternehmen, dieselbe Sprache und Kultur. Wir wissen: Menschen arbeiten gerne für Menschen und entwickeln mit ihrem Teamleiter gerne ein Wir-Gefühl. Und wenn dieses nicht möglich ist, verringert sich die Leistung.
Oft glauben die Verantwortlichen, das ist doch das Gleiche ob virtuelle oder face-to-face Führungsverantwortung. Es geht doch nicht darum, wie viel Zeit man wo verbringt. Aber es geht um das „Wie“. Fühlt sich ein Team benachteiligt, weniger informiert, sinken die Ergebnisse. Dabei sollen doch die Prozesse schlanker und Kosten gespart werden.
Bei virtuellen interkulturellen Teams muss die Führungskraft weitere Herausforderungen meistern. Wichtig ist, dass sie sich dieser Aufgaben bewusst ist und sie auch machen möchte. Sie muss offen sein für Experimente, Neues und Unbekanntes. Es wird zunehmend auf kostspielige und zeitintensive Auslandsentsendungen und –reisen verzichtet und somit den Beteiligten eine virtuelle Zusammenarbeit an ihren jeweiligen Standorten eingerichtet. Die Technik ermöglicht uns dieses, jedoch spielt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und Aufgabenbewältigung das menschliche Miteinander die zentrale Rolle.
Vertrauen ohne Kontrolle?
Ganz wichtig ist ein virtueller Vertrauensaufbau und –erhalt. Doch wie ist das möglich, wenn sich die Teammitglieder nie gesehen und getroffen haben? Ein Beziehungsaufbau ist im virtuellen Raum noch wichtiger als in einem Präsenz-Teammeeting. Fast alle Kulturen – außer in Deutschland und den USA – haben einen höheren Anspruch an persönliches Kennenlernen, weit über Small-Talk und Vorstellungsrunden hinaus.
Auch muss der Team- bzw. Projektleiter lernen, dass er im virtuellen Raum nicht alles unter Kontrolle haben kann. Der Umgang mit „Unsicherheiten“ macht vielen Verantwortlichen Angst. Die so harten Faktoren aufgeben zugunsten der Soft Skills? Wie soll das gehen? Es ist ein wichtiger Lernprozess, der damit anfängt, offen zu sein, zu experimentieren, reflektieren und mit dem Team im virtuellen Raum ein Wir-Gefühl aufzubauen. In einigen Teams hat bereits das Einrichten einer Kochrezept-Börse zu guten Ergebnissen geführt.
Für jeden einzelnen und auch für die Organisation bedeutet virtuelles Arbeiten über Grenzen hinweg, ein Change Management. Wie definiert sich eine Führungskraft, deren Team nicht sichtbar ist? Wie wird Erfolg festgelegt? Wie werden virtuelle Kick-Off-Meetings in internationalen Projekten durchgeführt? Wenn ich Charisma in einem physischen Raum schon schwer beschreiben kann, was bedeutet das für die Führungskraft im virtuellen Meetingraum? Power-Point Schlachten, überhebliche Sprache der Native-Speaker, Machtspiele über Zeitzonen stehen vor dem Aus. Gerade in diesem Umfeld ist eine wirkliche Zuhörqualität gefragt, mehr noch als in Präsenz-Meetings. Wie sonst kann der Teamleiter Unsicherheiten, Unwahrheiten, Betroffenheit, mögliche Konflikte heraushören, wenn er im Sende-Modus ist? Und wie sollen Konflikte angesprochen werden, wenn jede Kultur damit anders umgeht?
Die interkulturelle Führungsaufgabe wird bis heute völlig unterschätzt und doch ist es wichtig, die Balance zwischen Beziehungs- und Arbeitsebene zu schaffen.
Ich lade Sie ein, dieses Thema mit uns zu diskutieren.
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